Weil morgen heute schon gestern sein wird  

Es ist ein großes Haus. Mehr Zimmer als zwei Personen brauchen. Vor dem Kamin ein großes Sofa über Eck. Im zweiten Raum ein massiver Tisch mit zehn Stühlen. Eine kleine Bibliothek mit tiefen Sesseln, dunkelgrün bezogen. Die Küche, die Schlafzimmer. Alle Räume haben hohe Flügelfenster. Vor der kleinen, zu allen Seiten offenen Terrasse, vier Stufen aus bröckelnden Steinen hinunter in den zu beiden Seiten sanft abfallenden Garten, steht ein vermooster Ahorngigant, die trockenen Äste von graublauen und grüngrauen Flechten überwuchert. Er versperrt den Blick auf einen kurzen, nur hüfthohen, weißen Holzzaun, verlängert durch Büsche. Hinter dem kleinen Tor, charmanter, unnötiger Schmuck, weil das Grundstück zu den drei anderen Seiten offen ist und hinter dem Haus übergeht in den Wald, schneidet eine unbefestigte Straße, auf der kaum mehr als ein Auto am Tag fährt, die Weite in zwei Hälften. Durch die vier hohen Küchenfenster ein endloser Blick über die Wiesen, von Schnee bedeckt. Kein Rotwild, kein Elch, kein Reh lässt sich am Tag sehen. Hinterlassen sie alle irgendwann ihre Spuren, bis wieder Schnee fällt, vom Wind aufgetürmt und verweht. Der Himmel, selbst wenn er grau verhangen ist, spannt sich mit ungeheurer Weite über allem. Alles atmet friedliche Vergangenheit, in dem Haus, das seit 1869 im verlassenen Nirgendwo steht. Alles hat Seele. Es ist perfekt. Genau so, wie sie es sich vorgestellt hat, ohne es zu wissen. 

Nur sie beide, weg vom Alltag, Zeit nur füreinander, zum ersten Mal seit Jahren. Sie sollen sich vertragen, endlich aussprechen. Haben dem Vorschlag zugestimmt, beide ohne Gegenwehr, ohne Ausreden, ohne ein Wort des Spottes. Eine Woche bleibt ihnen in dieser Einsamkeit, in der sicheren Abgeschiedenheit eines Landes, das sie nicht erkunden werden, weil sie nur sehen, was sie zu Fuß erreichen können. 

Seit ihrer Ankunft reicht der Schnee bis weiter über die Knie. Sanft ist die Stille in der Nacht unter Sternen und auch am Tag, wenn die Sonne scheint, das reine Weiß blendet. So glitzert und funkelt Unschuld, gesprenkelt von winzigen Kristallen. Zarte Strukturen, übrig gebliebener Herbst, eingefroren, zu eisigen Kunstwerken erstarrt. Die Augen ertrinken in dem weichen, bronzeroten Licht der tief stehenden Sonne, die aus der Allee auf dem Hügel ein Gemälde zaubert, dessen Schönheit so atemberaubend ist, dass die Kälte nicht spürbar ist. Eine flüchtige Einzigartigkeit, die sich Tag für Tag wiederholt. Die manchmal die Welt auch in Schwarzweiß erstrahlen lässt. Die vorsichtig hilft, die innere Härte und all den Hass tauen zu lassen, langsam. Bis der Kern wieder zu spüren ist, das Wissen, dass sie beide für immer ein Teil von einander sind und bleiben werden.

Wortlos stapfen sie hintereinander durch den Schnee. Erkämpft sich jeder seinen eigenen Weg (…)