Eifel Abschied

Ich hab dich lieb. Hat Jens‘ fünfjähriger Filou gestern Abend zu mir gesagt. Einfach so. Zwischen Zähneputzen und Schottischem Hochlandrind-Bild schenken, mit ernsthaftem Blick aus kugelrunden dunklen Augen. Und sein dreijähriger Bruder, ein unfassbar niedlicher Blondschopf mit spitzem Mund, nuschelte „Tschüssi“ und warf mir einen Kuss zu. Hilfe. Schockverliebt. Dabei kann ich Kinder eigentlich überhaupt nicht leiden.

Kayserling hat heute früh angefragt, ob ich schon einen ersten Hinweis auf den Aufenthaltsort von Madame Dubois habe. „Angeblich hat sie ein Anwesen bei Cassis“, habe ich gesagt, ohne Jens namentlich zu nennen, und meine heimliche Hoffnung verschweigend, nähere Informationen noch im Laufe der Woche von Dr. Wardinski zu bekommen. Zufrieden hat Kayserling mich wissen lassen ein großer Provence-Fan zu sein. Wer nicht? Ich bin’s auch. Obwohl ich noch nie da war.

Auch wenn ich das hier im Daun-Tal locker noch ein paar Tage ausgehalten hätte, war gestern mein letzter Abend. Heute morgen habe ich nur schlappe dreieinhalb Stunden bis zur Abfahrt gebraucht. Inklusive Challenge Wohnwagen rückwärts rechts ausparken .

Das liebliche Tal verlassen habe ich mit einer ganz real verfestigten, romantischen Vorstellung vom Job am Amboss: Metalldesigner und Künstler aus Leidenschaft ist ein schweißtreibender, schmutziger Knochenjob. Faszinierend das Zusammenspiel von konzentrierter, gebündelter Kraft und Kreativität, von sanfter Präzision und Geduld. Der Ursprung jeden Berufes ist der des Schmieds, hat Jens gesagt. Seinen Geschichten – überlieferte Sagen gepaart mit historischem Fachwissen – könnte ich ewig zuhören. Er wäre ein prima Telefonjoker, wenn man’s denn auf den Wer-wird-Millionär-Stuhl schaffen würde (hat Jens übrigens. Dabei hoch gepokert und beachtlich gewonnen).

Was die Feuerschale angeht: die werde ich mir vorstellen müssen anhand der Skizze und fertigen Grundformen. Ist während meines Aufenthaltes leider nicht fertig geworden. Schade. Immerhin war ich dabei, als Jens die Bronze bei Lagerfeuertemperaturen von 700 bis 750 Grad erhitzt und ihr mit viel Feingefühl die gewünschte Grundform geschenkt hat.

Wer weiß – vielleicht schenke ich mir im kommenden Jahr einen Metallkursus beim Meister und gehe dann mit einem selbstgeschmiedeten Messer nach Hause.

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Mit rasanten 82 km/h ging’s dann über die Autobahn Richtung Luxembourg. Bei Ausfahrt 23 die Autofahrbrille vermisst (vergessen in der Tankstelle in Daun?). In Nancy, nach 45 Minuten hilflosem durch die historische Innenstadt kurven, bemerkt, dass das Navi unfähig ist in Sachen Transferleistungen (sonst hätte es mich ja gewarnt, dass die eingegebene Adresse zum Campingplatz in Strasbourg gehört). Auf dem Campingplatz Brabois nur sieben Anläufe gebraucht, bis der Wohnwagen so stand, dass mir beim Schlafen nicht das Blut in den Kopf schießt.

Jeanne Erica Ambourouet

ABER bei der Anmeldung hat die hinreißende Rezeptionistin mit den taillenlangen Zöpfchen ganz verzückt gelächelt, weil mein eingerostetes Französisch viel passabler klang, als das der Niederländer. Bin selber überrascht ob meiner frechen Souveränität, mit der ich für mich und Raluca eine Übernachtung gebucht und dann entschuldigt habe, direkt vor der Schranke zu stehen, statt wie die höflichen Niederländer auf dem Seitenstreifen zu parken. „Pas de problème, Madame“, sagte Jeanne Erica Ambourouet strahlend, als hätte ich ihr ein Kompliment gemacht, und gab mir einen Zettel mit dem Code 1707A für die Schranke.

Herrlich HÖFLICH sind sie, die Franzosen. Höflich und FREUNDLICH. Beim abendlichen Parkrundgang mit Raluca hat JEDER gelächelt und mir bonsoir und bonne promenade gewünscht. Hach, bonsoir und merci beaucoup et pour toi aussi gleitet mir mühelos von den Lippen, ohne jeglichen Akzent und mit freudiger Begeisterung. Meine ehemalige Französischlehrerin Madame Brockmann wäre zufrieden.

Ich konstatiere: der erste echte Tourtag startete bei Nebel, hinter dem dann 21 Grad und blassblauer Himmel lauerten, endete viereinhalb Autobahn-Stunden später und bei 28 Grad am Zielort. Das Portemonnaie gezückt: 14,95 Euro für die Nacht plus 15 Euro für den Adapter, um französischen Atomstrom nutzen zu können, plus 15 Euro für zwei Glas Weißwein und eine Megaportion pommes frites. Und in Deutschland schon 60 Euro fürs Dieseltanken.

Bei der Schlagzahl ist mein Reisekostenvorschuss aufgebraucht, bevor ich auch nur in der Nähe von Madame Dubois bin. Dennoch: bonne nuit.