Sur le Pont, d’AVIGNON …

Gibt es eigentlich eine schwarze Liste für Kinderlieder?
Gibt es nicht? Sollte es aber. Ich hatte es erfolgreich verdrängt, das monotone on y danse, on y danse, dass ich schon als Dreijährige in perfektem Französisch trällern konnte. Aber an diesem spätsommerlichen Vormittag ohne Wolken plärrt es UNUNTERBROCHEN aus den Lautsprechern monströser, kaum besetzter Ausflugsdampfer. Ein unschuldiger Knabenchor in Dauerschleife schallt übers Wasser – man möchte sich in der Rhône ersäufen.
Später, als ich diverse obligatorische Fotos mein eigen nenne, weiß ich wieder, warum ich bei Worten wie Tourismusmagnet oder place to be oder hotspot zusammenzucke und dann renne. In diesem Fall Little Miss Sunshine für die morgige Abfahrt vorbereite. Denn François-Anne de Bellejour hat nicht auf meine Nachricht in ihrem Briefkasten reagiert. Gestern bin ich noch mal nach Uzès gefahren. Offensichtlich ist sie wirklich verreist.
Mehr als ihr Geburtsdatum (15.9.1941) und ein paar für mich belanglose Daten (unverheiratet, kinderlos, zahllose Ausstellungen in und außerhalb Europas, darunter St. Petersburg, Shanghai und Tokio) habe ich nicht gefunden. Kein noch so kleiner Querverweis zu Madame Dubois, die mindestens zehn Jahre älter ist. Immerhin bin ich zufällig an einer Galerie vorbei gekommen, in der einige Werke von François-Anne auf ihre Käufer warten.



Kayserling hat mir eine kurze Nachricht auf der Mailbox hinterlassen, will wissen, ob Miss Stewart sich schon gemeldet habe. Hat sie. Schon das zweite Mal. In dem Moment, als ich über dieses unglaubliche Märchenpärchen stolpere, das sich mit fürchterlich ernsten Mienen professionell fotografieren lässt.
Mostafa ist 31 und hat Schalk und Stolz in den Augen, während Nadira für ihre 24 irgendwas zwischen ernst und unsicher wirkt. Meine Frage, ob ich ein Foto machen dürfte, weil sie so wunderschön aussehen, beantwortet sie nicht etwa mit einem verlegenen oder geschmeichelten oder glücklichen Lächeln. Nein, Nadira fragt, ob ich es bei Instagram posten würde. „Si je peux?“ Offensichtlich die richtige Frage. Meine Visitenkarte will sie dann trotzdem nicht.

Ich hatte bei meiner Hochzeit mit Tom zwar weder ein Henna-Tattoo auf der rechten Hand, noch angeklebte Wimpern und Fingernägel, und trug auch keine funkelnde Tiara. Ich sah definitiv nicht aus wie eine Prinzessin aus Tausendundeinernacht. Dafür war ich am Tag meiner Hochzeit der glücklichste Mensch im Universum. Hoffentlich ist dieses junge Mädchen einfach nur erschöpft. Und hoffentlich sind die für Instagram inszenierten Fotos nicht wichtiger als ihre Liebe zu Mostafa.
Mary Stewarts Nachricht habe ich gerade erst abgehört. Ich bin unsicher, was ich davon halten soll.
Es klingt beunruhigend.