Gordes & Roussillion

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Betont nebenbei frage ich Erika nach Eygalière und sofort bekommt die Glitzeraugen und schwärmt vom Ort der Schönen und Reichen, betreibt charmantes name-dropping: Barbra Streisand sei da vor dreißig Jahren mit großem Strohhut und Sonnenbrille unerkannt über den wunderschönen Freitagsmarkt geschlendert. Der berühmte französische Chansonnier Charles Aznavour (2018 im Alter von 94 Jahren gestorben) sei oft mit der Schauspielerin Jean Simmons (gestorben 2010) dort gesehen worden, wie sie gemeinsam in einem der Restaurants zu Mittag aßen. Im übrigen würde auch der britische Schauspieler Hugh Grant (der ja noch lebt) ein Haus in dem 1730 Seelen-Örtchen besitzen.
Das sei natürlich Insiderwissen, sagt Erika verschwörerisch, niemand wisse das. „Also, die Presse weiß das nicht. Und die Bewohner sagen nichts.“ Oh. Aha. Na, gut.

Aber Erikas Begeisterung für internationalen Klatsch und Tratsch verwandelt sich gleich darauf in düstere Empörung über explodierende Immobilienpreise, die ich bis vor kurzem noch naiverweise für ein rein deutsches Symptom gehalten habe: „Von den Einheimischen kann es sich niemand mehr leisten, in Eygalière zu leben. Wenn was vererbt wird, ist die Steuer so hoch, dass die Erben verkaufen müssen. Und dann kommen die mit dem vielen Geld. Wie die Geier sind die. Unter dreikommafünf Millionen bekommst du kein Haus.“
Echte Schnäppchen-Gegend also.
Und weil wir gerade so hübsch plaudern über die absurden Auswüchse des ja angeblich sterbenden Kapitalismus‘, empfiehlt mir Erika einen Tagesausflug nach Gordes und gleich hintenan noch Roussillion. Promi-Geschichten zu den beiden berühmten Orten hat sie leider keine.
Die Straßenverhältnisse lassen nur Einheimische die erlaubten 90 km/h fahren. Nach etwas mehr als vierzig Minuten (der Verkehr in Cavaillon gleich dem einer Großstadt, inklusive schlecht getakteter Ampelphasen) für die gerade mal dreißig Kilometer, entlockt mir der Panoramablick ein spontanes wow. Ja, der Himmel verleidet ein angeberisches Postkartenfoto. Der Eindruck ist dennoch gewaltig. Und auf den ersten Blick verstehe ich, warum diese Gemeinde im Luberon, die auf der Südflanke der Hügelkette Mont de Vaucluse auf einem 635 Meter hohen Felsvorsprung über dem Tal des Flusses Coulon thront, zu einem der schönsten Dörfer Frankreichs (Plus beaux villages de France) zählt.
Schönheit hat ihren Preis, kennt man ja. Parkgebühr auch hier: sechs Euro pro Stunde. Allerdings gibts die erste halbe Stunde von der Gemeinde geschenkt. Sehr gerne. Also flott zurück zum Panoramablick, Raluca vor den Autos schützen (es gibt keinen klassischen Bürgersteig), staunen, bewundern, Details erkennen, Foto, fertig. Zurück beim Auto fehlen noch fünf Minuten bis die Gratiszeit abgelaufen ist. Natürlich bin ich auf den im Jahr 1013 gegründeten Ort maximal unvorbereitet, aber der Blick reicht, um zu wissen: Touri-Magnet. Also direkt weiter ins nur 12 Kilometer entfernte Roussillion.
Die Ockerfarbe ist das Wahrzeichen dieser ebenfalls als Plus beaux villages de France ausgezeichneten Kleinstadt mit gerade etwas mehr als 1200 Einwohnern.



Mag es an der Tages- oder Jahreszeit liegen oder am fehlenden blauen Himmel, der die Farben noch mehr leuchten ließe, Raluca und ich haben Glück, es sind kaum Menschen hier. Entspannt bummeln wir rauf und runter, gucken minutenlang andächtig ins Tal, dann noch mal runter und wieder rauf.



Dieser Ort strahlt eine unerwartete Ruhe aus. Die warmen Erdfarben tragen dazu bei. Die fehlenden, immer gleichen Provence-Souvernir-Shops auch. Auch die Anzahl an Restaurants hält sich sehr in Grenzen (ich zähle tatsächlich nur zwei). Dominiert wird das unaufgeregte, malerische Stadtbild von kleinen Galerien.
Roussillion ist stilles genießen einer besonderen Atmosphäre.
Ein paar andere Besucher und ich nicken uns mit einem Lächeln zu, oder sagen auch bonjour und irgendwie ist es die ganze Zeit leise und sehr friedlich. Wobei ich davon ausgehe, dass die lächelnden Blicke in erster Linie Raluca gelten, die sich mit ihrem herbstfarbenen Fuchsfell ganz hervorragend ins Stadtbild einfügt.
Nie war es mir unangenehmer, als mein Handy klingelt. Tom. Er hat alles geregelt. Mein Vater wird morgen per Privattransport zurück nach Deutschland geflogen. Obwohl ich keine ernsthaften Zweifel hatte, dass es Probleme geben könnte, bin ich erleichtert. Trotz meiner Dankbarkeit will ich nicht länger als nötig mit Tom sprechen. Tapfer überspielt er seine Enttäuschung. Als ich das Handy wieder einstecke, ist etwas anders.


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Plötzlich aufkommende und unerwartet schnell wachsende Unruhe treibt mich zurück ins Vallée Heureuse. Mary Stewart hat sich seit gestern nicht wieder gemeldet. Ihre Angst, dass sie um ihr Leben, und dass ihrer Kinder fürchtet, erscheint mir mit einem Mal nicht mehr als überdrehte Spinnerei oder der Versuch, sich wichtig zu machen.
Ich schicke ihr ein paar Fotos vom heutigen Tag und hoffe, dass sie den Subtext in meiner Nachricht versteht. Dass sie sich meldet und mir schickt, worum ich sie gebeten haben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gordes
https://de.wikipedia.org/wiki/Roussillon_(Vaucluse)