Halt auf halber Strecke

Vertrieben aus dem Paradies.

Weil die Saison vorbei ist, bin ich gezwungen, heute Vallée Heureuse zu verlassen. Der Himmel passt zur Stimmung. Und dann passiert wieder mal das Leben. Ich komme mit einem schlaksigen Mann ins Gespräch, der gerne Raluca streicheln möchte. Seine sportliche Frau, die mich augenblicklich an die Sängerin und Komponisten Agnetha Fältskog erinnert, kommt dazu. Marie und Stefan aus Schweden sind begeisterte Kletterer, Langläufer, Schwimmer und Hundenarren. Beide erobern nicht nur Ralucas Herz im Sturm.

Vom ersten Moment sprühen die Funken, wir lachen und es ist diese Magie zwischen uns, die passiert, wenn man Herzensmenschen trifft. Als ich erwähne, dass ich auf der Suche nach Madame Dubois bin, blinzelt Marie und sagt: „Vermutlich wirst du sie in Schweden finden. – Was, wenn ich es bin?“

Natürlich nur ein Scherz.

Und doch der Schlüssel. Denn es ist der Moment, in dem ich entscheide, mein Buch in der schwedischen Stille zu schreiben. Woraufhin mich Marie umarmt und mir das Versprechen abnimmt, sie und Stefan zu besuchen. „Wir leben 700 Kilometer nördlich von Göteborg, nahe der norwegischen Grenze.“

Sie winken mir hinterher. Ich verabschiede mich von Freunden.

Beschwingt wie ziellos geht es nach Süd-Westen, grobe Richtung Narbonne. Es ist Mitte November, immer mehr Campingplätze sind längst geschlossen. Trotzdem will ich nach Spanien, eine liebe Freundin in Dénia besuchen.

Doch 940 Kilometer sind nicht innerhalb eines Tages zu bewältigen. Also steuere ich einen Campingplatz nördlich von Narbonne an. Während ich mit der Freundin in Südspanien telefoniere, missinterpretiere ich das Navi. Die Quittung: ein unbefestigter Feldweg mit tiefen Schlaglöchern, Regen gefüllt. Zu spät bemerke ich meinen Fehler.

Statt in Panik zu verfallen oder den cholerischen Aufstand zu proben, checke ich meine Lage, bereite mich innerlich und Little Miss Sunshine äußerlich aufs rückwärts fahren vor. Knapp zweihundert Meter, das sollte innerhalb von zehn Minuten erledigt sein.

Theoretisch.

Als ich das zweite Mal aussteige, um die Rückfahrsperre zu lösen, rollt sich Raluca ergeben auf ihrer roten Decke ein. Ahnend, dass zehn Minuten reines Wunschdenken sind. Im nicht auf dem Tacho erkennbaren Schneckentempo geht es zurück zur Hauptstraße. Stolz auf meine gelassene Geduld, fahre ich Meter für Meter um die erste Kurve, um die zweite.

Und dann ist Schluss. Egal, was ich versuche, Little Miss Sunshine streikt. Es ist wie in Avignon – die Stützen machen mir einen Strich durch die Rechnung. Eine Bodendelle verhindert die restlichen fünfzig Meter bis zur Hauptstraße. Also kupple ich ab, um den Wohnwagen um die eigene Achse zu drehen und dann wieder anzukuppeln.

Hübsche Idee. Ohne Chance.

Nach zwanzig Minuten will ich über die kaum befahrene Straße zu dem Hof laufen, auf dem zwei Kastenwagen stehen, und Hilfe holen. Doch mein Stolz verbietet es. Also kupple ich wieder an und fahre todesmutig auf das erste, wenigstens zwanzig Zentimeter tiefe und neunzig Zentimeter breite Regenloch zu. Wenn ich jetzt einen Fehler mache… ich spüre schon den Ruck, wenn es weder vor noch zurück geht, weil der linke Wohnwagenreifen im Schlagloch steckt. Höre die Achse brechen. Spüre den Reifen platzen. Den Wohnwagen kippen.

Tief atme ich ein und aus, lenke so weit wie es nur irgend geht nach links, wo der abschüssige Feldweg direkt in den matschigen Acker übergeht. Schließe die Augen, halte den Atem an. Gebe Gas. Ganz sanft.

Geschafft! Kein Achsbruch, kein geplatzter Reifen. Kein Drama. Aber es ist erst der Anfang. Die Schlaglochdichte ist erschreckend, die Tiefen variieren zwischen bedenklich und bedrohlich. Aber es gibt kein Zurück mehr. Mein Gesicht brennt, während eine trotzige Stimme mich verspottet und höhnisch fordert, endlich mal Vertrauen in die eigenen Fahrkünste zu haben.

Manche Dinge tut man, ohne hinterher zu wissen, wie sie einem gelungen sind. Diese gewundene, maximal treckertaugliche Strecke von knapp 1,2 Kilometern quer durch die karge Landschaft bekommt den ersten Platz auf der Liste meiner größten Fahrherausforderung der bisherigen Tour.

Dann erreiche ich den Campingplatz von Colombiers – dessen Rezeption seit sieben Minuten geschlossen hat. Man möge sich bitte telefonisch melden, sollte niemand da sein.

Die übliche Stammelei (mon francaise est tres mal und die ebenso übliche Antwort english is no problem) und die Bitte, sich einfach morgen an der Rezeption zu melden. Ach, die entspannten Franzosen.

Mit dem Code 0104 passiere ich die Schranke, finde den perfekten Platz zwischen zwei niederländischen Wohnmobilen und brauche unter fünf Minuten, bis LMS richtig steht.

Während Raluca lustlos ihr Trockenfutter kaut, zeigt mein Fieberthermometer 38,9 Grad.