Curriculum Vitae français

Kein Zweifel, Madame Dubois stellt mich auf die Probe. Aber was genau will sie testen? Meine Flexibilität? Meine Kreativität? Meine Konzentration? Mein logisches Denken? Mein Urteilsvermögen?

Keine Sekunde bilde ich mir ernsthaft ein, auch nur den Hauch einer Chance im Spiel der Könige zu haben.

Keine einzige Standarderöffnung will mir einfallen.

Seit ich vor ein paar Jahren den großartigen Roman Das Damengambit von Walter Travis gelesen habe, steht auf einem antiken Tischchen in meinem alten Arbeitszimmer ein aufgebautes Holzschachspiel.

Keiner hat mir je die Regeln logisch, einprägsam oder spielerisch erklärt, weil niemand aus meinem Freundeskreis Lust auf konzentriertes Schweigen hat. Und Tom? Findet Schach entsetzlich berechnend und kommunikationsfeindlich.

Obwohl es unglaublich langweilig ist, gegen sich selber zu spielen, habe ich es versucht. Genauso wie irgendwelche Partien nachzustellen. Ernsthaft verinnerlicht habe ich keine einzige.

„Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen.“

Madame Dubois sitzt mir kerzengerade gegenüber auf dem gepolsterten Stuhl mit der geflochtenen Lehne. Ihre Augen schauen freundlich, ihr Ton ist bar jeder Ironie oder gar Spott.

„Ich bin ziemlich nervös“, sage ich.

„Da Ihnen das nicht anzusehen ist“, sagt Madame Dubois, „haben Sie jetzt unnötigerweise eine Schwachstelle verraten.“

Es ist weniger das Spiel, das meinen Puls in die Höhe treibt. Auch nicht die von Madame Dubois bestimmten Regeln – sondern dieser Satz. Verdammt. Was ist los mit mir? Wo ist meine Souveränität? Ich bin Vollblut-Journalistin, maximal professionell.

Habe mich so gründlich wie nur irgend möglich auf dieses erste Treffen vorbereitet, um alle relevanten Daten, Fakten und Zahlen für mein Buch zu bekommen. Ich bin mehrfach ausgezeichnet worden für meine Artikel, meine Porträts, meine Interviews.

Umsonst. Es scheint so absurd, Antworten mit Hilfe von poliertem Holz in Gestalt abstrakter Figuren zu erspielen. Statt mich darauf zu konzentrieren, benehme ich mich wie ein kleines Mädchen. Innerlich knallt mein Kopf auf das Schachbrett.

Unter Madame Dubois‘ Blick mahne ich mich streng zu ruhiger Überlegenheit und ziehe meinen Bauern auf D3. Wer eröffnet hat größere Chancen zu gewinnen. Wirklich?

„Und Ihre erste Frage, Klara?“, fordert Madame Dubois freundlich. Sie trägt eine auf ihre Kleidung perfekt abgestimmte Brille, die ihrem schmalen Gesicht eine interessante Kontur gibt.

„Wo wurden Sie geboren?“

Madame Dubois zieht leicht die perfekt geschwungenen Augenbrauen hoch und setzt ihren Springer. „Ich weiß Ihre Gründlichkeit zu schätzen“, seufzt sie dabei, „aber ich hatte doch etwas mehr Esprit und Ernsthaftigkeit von Ihnen erwartet.“

Beschämt und verwirrt suche ich nach einer schlagfertigen Antwort, aber Madame Dubois fügt schon hinzu: „Wenn Sie diese langweiligen Daten wirklich brauchen, wenden Sie sich doch bitte an Lucien.“

Den Gegner niemals unterschätzen. Selbst wenn er in Gestalt eines Freundes oder doch wenigstens Verbündeten daher zu kommen scheint.

Blitzschnell schalte ich um. Auch wenn mir noch nicht klar ist, welchen Plan Madame Dubois mit dieser Partie verfolgt, werde ich augenblicklich in die Offensive gehen müssen.

„Warum möchten Sie, dass ich ein Buch über Sie schreibe?“, frage ich und ziehe einen weiteren Bauern.

Très bonne question.“ Madames Lippen schimmern in sanftem Pfirsichton. „Sie begreifen schnell.“

Ihre raue Stimme mit dem leichten Akzent klingt schon jetzt so vertraut, dass ich mich augenblicklich entspanne, während ich die Aufnahmefunktion meines Handys aktiviere.