Familiengeheimnisse

Manipulation. Missverständnisse. Intrigen. Das Familienleben von Madame Dubois muss sich hinter Shakespeares Dramen nicht verstecken. Unfassbar tragisch, diese verworrene Geschichte aus Zurückweisung, blinder Wut, die zu Hass mutiert und bedingungsloser Liebe, die im Abgrund endet.

Mary Stewart und ihre beiden Töchter Ava und Cloe schlafen noch, während ich mit meinem Vater telefoniere.

„Kiki“, sagt er fröhlich, „ich werde morgen aus der Reha entlassen, dann fliegen wir nach Venedig.“

„Viel Spaß“, sage ich unaufmerksam. „Kann ich solange bei euch wohnen? Also, mit einer Freundin und ihren zwei Kindern?“

„Wenn ihr es mit deiner Mutter aushaltet.“

Jetzt hat er meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Alarmiert hake ich nach, und mein Vater behauptet, ungewöhnlich sanft und aufgeräumt, endlich zu wissen, wie er ab jetzt alles gestalten will.

„Ich bin zu jung, um noch länger so weiter zu machen. Das Leben, Kiki, das Leben wartet nicht. Du musst es jeden Moment als Geschenk begreifen. Und es annehmen! Carpe diem.“

„Wie geht es Mama damit? Dass du dich für Charlotte entschieden hast?“

„Charlène. – Sie wird es akzeptieren müssen. – Entschuldige, Sonnenschein, aber ich muss jetzt zum Abschlussgespräch mit dem Professor. Pass auf dich auf, meine Kleine.“

Mein erster Impuls ist, meine Mutter anzurufen. Doch dann lasse ich es.

Wenn sie meine Hilfe braucht, wird sie sich melden. Ich habe gerade andere Probleme.

Nicht nur, dass ich mit dem umgehen muss, was Mary Stewart gestern Abend noch alles behauptet hat. Unangemeldet steht jetzt auch noch Tom auf der Matte und hält mir anklagend ein Schreiben von Dr. Gehrholz vor die Nase.

„Wir wollten doch noch mal über alles in Ruhe reden“, sagt Tom. „Klara, wir haben nur eine Krise…“.

„Nein“, sage ich freundlich, „wir haben glücklicherweise einen Ehevertrag. Es gibt keinen Grund sich zu streiten, wir können uns gemeinsam von Dr. Gehrholz vertreten lassen.“

„Hast du einen anderen?“, fragt Tom und sieht aus wie ein waidwundes Reh.

„Ja“, sage ich. „Ich bin verliebt, ich bin glücklich und deswegen will ich die Scheidung.“

Toms Gesicht wird zur Maske. Als er gegangen ist, weigere ich mich, ein schlechtes Gewissen zu haben.