Über den Wolken
Meine Weihnachtsverweigerung bedroht den fragilen Familienfrieden. Doch es bleibt dabei. Zumal ich ja die Einladung von Madame Dubois angenommen habe.
Auch wenn mein Vater gelassen reagiert, ist er sichtbar traurig. Bestimmt will er die Gründe für die anstehende Scheidung wissen. Und mir wird klar, dass Tom mir gar nichts mehr bedeutet.
„Es tut mir sehr leid für dich, für euch“, sagt mein Vater. „Wenn du irgendwas brauchst…?“
„Danke, dass du mich nicht versuchst zu überreden, gegen meinen Willen mit…“.
„Es ist deine Entscheidung, meine Kleine, die ich selbstverständlich akzeptiere. Solange du nur glücklich bist.“
So milde erlebe ich meinen Vater selten. Ich entdecke neue Fältchen um seine Augen. Er kommt mir alt vor. Älter als noch vor ein paar Wochen.
„Bist du eigentlich glücklich, Papa?“
Lange schweigt er. Sieht erst durch mich hindurch, als müsse er die Antwort suchen, dann schaut er mir in die Augen, streichelt meine Wange. Seine Stimme hat diesen neuen, diesen weichen, nachsichtigen, sanften Klang.
„Deine Mutter ist die Liebe meines Lebens. Und dagegen bin ich machtlos.“
*

Während ich meine Sachen packe, lässt Raluca mich nicht aus den Augen.
Natürlich kommt sie mit. Sie ist mein Schatten. Meine Beschützerin. Ohne sie fahre ich nirgendwo mehr hin.
Vielleicht hat Madame ein Chalet in der Schweiz? Gstaad oder St. Moritz oder Zermatt. Per Zug bequem zu erreichen. Das wäre sowohl für mich als auch für Raluca am stressfreiesten.
Wenn ich es mir jedoch aussuchen dürfte: Lucien holt mich ab und wir haben dann viel Zeit zu reden. Über Madame und den Mord an Monsieur Morel.
Doch nicht Lucien wartet auf mich in der dunklen Limousine, sondern eine blutjunge Chauffeurin. Sie fährt zum Flughafen, direkt zum Bereich mit den Privatflugzeugen. Was mich beunruhigt.
Nicht wegen des beschämenden, ökologischen Fußabdrucks, den ich hinterlassen werde. Sondern wegen meines Hundes. Doch Raluca folgt mir neugierig die kurze Gangway hoch.
An der letzten Stufe klingelt mein Handy.
Es ist vollkommen sinnlos mit Tom zu sprechen, der sicherlich mal wieder tief gekränkt ist und wütende Anschuldigungen ausspucken wird. Dennoch nehme ich das Gespräch an.
„Deine Mutter sagt, du willst nicht mit ihnen feiern, wenn ich dabei bin. Findest du es eigentlich richtig, deine Eltern zu bestrafen, weil du seit neuestem ein Problem mit mir hast? Dein Egoismus ist inzwischen wirklich nicht mehr auszuhalten, Klara. Ich verstehe einfach nicht…“.
Den Rest seiner aggressiven Vorwürfe höre ich nicht mehr. Denn in der Kabinentür steht der Kapitän, lächelt und sagt: „Willkommen an Bord, Klara.“