Brüchige Bande

Familiendramen sind meine Spezialität.

Schon aus beruflichen Gründen. Darüber hinaus existiert natürlich (leider) auch noch ein ansehnlicher Berg persönlicher Erfahrungen.

Angeblich hilft ja Kommunikation als lösungsorientierte Taktik, wenn der familiäre Frieden so sehr bebt und wankt, dass er nachhaltig in seinen Grundfesten erschüttert wird.

Gespräche am Küchentisch, gerne auch am Kamin, als vorbeugende Maßnahmen, bevor alles aus dem Ruder läuft, gelten als Wunderwaffe. Es darf dann gerne auch ein bisschen lauter werden.

Warum sachlich, wenn’s auch emotional geht. Finde ich.

Mit dieser Einstellung stehe ich jedoch meist allein auf weiter Flur. Auch und vor allem im Fall von Madame Dubois. Deren über die Jahre perfektionierte Strategie lautet offensichtlich: Probleme aussitzen, wahlweise ignorieren, wahlweise totschweigen. Vornehmlich sich selber als Opfer der Umstände betrachten, statt Eingeständnisse zu machen.

Das ist mir seit gestern klar.

Um aber meinen eigenen Qualitätsansprüchen in Bezug auf das Buch über Madame Dubois gerecht werden zu können, werde ich diverse innerfamiliäre Unklarheiten zunächst verstehen müssen, um das verwandtschaftliche Desaster irgendwie aus dem Weg räumen zu können. Sprich: eine Versöhnung mit Mutter und Kindern.

Während mir diese Idee zunehmend gefällt, höre ich Pelle nörgeln, ich sei Journalistin, keine Therapeutin, und solle verdammt noch mal meine Kompetenzen nicht überschreiten.

Doch ich bleibe dabei – und wünschte, Lucien würde mir dabei helfen, die große Versöhnung zu inszenieren oder doch wenigstens in die Wege zu leiten. Aber er hält sich vornehm im Hintergrund. Im Verlauf der vergangenen fünf Tage habe ich insgesamt beeindruckende zwölf Worte mit ihm gesprochen.

Mit meiner bisherigen Strategie – zaghaft-höfliche Andeutungen – komme ich bei Madame Dubois nicht weiter. Ja, ich kenne die Geburtsdaten ihrer Zwillinge Isabelle und Florence. Weiß, dass Arnauld nur knapp zwei Jahre später geboren wurde. Im Gegensatz zu seinen Schwestern angeblich ein Wunschkind. Dass die drei Geschwister dennoch nicht den gleichen Vater haben.

Ich weiß darüber hinaus, Isabelle hat zwei Söhne, Florence eine Tochter – alle (bislang) ohne Nachwuchs. Arnauld und sein Mann Eric haben zwei Hunde. Aber in welchem Verhältnis die (angeblich) in Australien lebende Mary Stewart zu Madame Dubois steht, bleibt ein Rätsel.

Um das zu lösen, sollte ich sie schnellstmöglich zum Thema machen. Sollte Marys Ängste um das Leben ihrer Kinder und ihres eigenen zur Sprache zu bringen. Ebenso Marys Bitte, das Ansehen von Granny in Ehren zu halten. Und gestehen, mit Madame’s Halbschwester François-Anne de Bellejour gesprochen zu haben.

Madame Dubois muss endlich wissen, was ich weiß. Dass es mehr ist, als sie mir bisher anvertraut hat.

Quid pro quo.

Meine neue Vorgehensweise wird meine alte, bislang immer erfolgreiche sein müssen: schnörkellose, direkte Fragen.

Habe ich anfänglich damit bei Madame Dubois auf Granit gebissen, scheint sich über Nacht etwas verändert zu haben. Denn heute morgen überrascht sie mich mit sanfter Stimmung. Ich traue meinen Ohren nicht, als sie schon während des Frühstücks die Sprache auf Mary Stewart bringt.

Allerdings vollkommen anders, als ich es erwartet hätte.