Allons en france

Oktober

Tausend Kleinigkeiten verschraubt, geklebt, genagelt, geschnitten, überprüft, erneuert, ergänzt, ersetzt. Damit ist Little Miss Sunshine endlich abfahrbereit. Aber bin ich es auch schon?

Schräubchen hat jedenfalls fantastische Arbeit geleistet. Peggy und Jürgen und Tina und alle anderen auch. Fußboden, Sitzpolster und Kissen, Gardinen und Bett sind neu. Ich habe Schränke und Regale lackiert und bin fast zufrieden (mit Tageslicht und Brille wäre das Ergebnis super), Furnier aufgebügelt und Anti-Rutsch-Matten geschnitten. Das ehemalige Bad ist jetzt Stauraum für Stühle und Tisch und jede Menge Kisten. (Ich weiß schon jetzt nicht mehr, was ich wo verstaut habe.) Die große Schublade aus 10 mm starken Buchenbrettern unter dem Bett habe ich mit floralem Geschenkpapier beklebt. Gefällt mir. Sehr.

Die alten Wasserkanister hatten entengrützegrünen Belag. Dank Essig und Zitronensäure jetzt nicht mehr. Trotzdem bezweifle ich, dass ich das Kanister-Wasser trinken werde.

*

Tom war gestern Abend da. Irgendeine ominöse französische Geschäftsfrau zu suchen, um sie für ein Buch zu interviewen, findet er bemerkenswert. Mit dem Wohnwagen durch Frankreich zu juckeln, um eben jene ominöse französische Geschäftsfrau zu suchen, „ist die mit Abstand idiotischste Idee, die du je hattest, Klara. Abgesehen davon, dass du diese bissige Töle mitnehmen willst.“ Tom hat Angst vor Hunden. Jetzt noch mehr, denn Raluca hat ihn in den Oberschenkel gezwackt. So schnell konnte ich nicht reagieren, wie sie auf ihn los ist. Jetzt ist Tom beleidigt, weil ich Raluca nicht bestraft habe. Wofür hätte ich sie bestrafen sollen? Dass sie ihren Job macht und mich beschützt?

Tom will, dass ich bleibe. Bei ihm. In Deutschland. „Lass uns noch mal in Ruhe über alles reden“, hat er gesagt und klang so aufrichtig verzweifelt, dass ich ihm fast geglaubt hätte. Wir saßen auf der Terrasse meiner Eltern, der Sonnenuntergang war glücklicherweise unspektakulär unromantisch. Als Tom nach meiner Hand griff, knurrte Raluca bedrohlich. „Würdest du diesen Drecksköter bitte endlich anleinen? Der geht mir mit seiner Aggression echt auf die Nerven.“
„Würdest du dich bitte einfach mal zusammenreißen? Raluca ist kein aggressiver Drecksköter“, habe ich Tom angeschnauzt, obwohl ich seine Angst nachvollziehen kann. „Davon abgesehen gibt es nichts mehr zu reden. Ich fahre nach Frankreich. Zu Madame Dubois, mit dem Wohnwagen und dem Hund.“

Der von Kayserling unterschriebene Vertrag wurde heute Nachmittag per Kurier gebracht. Ein Reisekostenvorschuss ist schon auf meinem Konto. Von mir aus kann es losgehen.
Je suis en route pour vous, Madame Dubois.

Metalldesigner und Künstler Jens Nettlich als Informant

Schicksal, Aberglaube – nichts für mich.

Aber kann mein Besuch hier bei Jens hier in der Vulkan-Eifel wirklich Zufall sein?

Vor dreizehn (!) Jahren hat die französische Malerin Christiane Peugeot (geboren 6.12.1927) Jens anlässlich der L´art Germanique À Paris ins Centre Culturel eingeladen. Dafür ist er mit neun eigens angefertigten Bronze-Skulpturen in die französische Hauptstadt gereist, die nach der Ausstellung direkt nach Shanghai verschifft wurden. Jens, der leidlich gut französisch spricht, erinnert sich noch gut an die Vernissage: „Steinreiche, steinalte Kunstsammler, die mit wichtiger Kennermiene stundenlang vor jedem Objekt standen und gefachsimpelt haben.“

Christiane Peugeot, mit viel zu viel Goldschmuck behangen, hat ihm ihre gute Freundin Madame Dubois vorgestellt. „Die war damals auch schon um die achtzig.“ Groß, schlank, stolze Haltung und durchdringender Blick. „Ehrlich gesagt, hat mich noch nie jemand so fasziniert und gleichzeitig so eingeschüchtert.“

Madame Dubois, sagt Jens, hätte ihn in akzentfreiem Deutsch beauftragt, die fünf bekanntesten Helden der griechischen Mythologie zu entwerfen. Und sie wollte einen zwei Meter großen Minotaurus. Natürlich alles aus Bronze. Zwei Tage nach der Vernissage hat sie Jens dann auf ihr hochherrschaftliches Anwesen in der Nähe von Cassis eingeladen, am Tag darauf sind sie im Privatjet noch nach Strasbourg – da sollte der Minotaurus stehen und Madame Dubois wollte, dass der Künstler sich auch da inspirieren ließ. Die Villa in der Provence sei ein ehemaliges Weingut in einem gigantischen Park gewesen. „Das Penthouse im Zentrum von Strasbourg hat mich mindestens genauso umgehauen.“

Viereinhalb Jahre hat er für die Fertigstellung aller Figuren gebraucht. Das Geld hatte Madame im Vorfeld bezahlt. Gesehen oder gesprochen hat er sie nach seinem Besuch bei ihr nie wieder, weil sie das Geschäft über ihren Galeristen abgewickelt hat. Madame Dubois hat den Erhalt der Figuren nie bestätigt. Bestätigen können. Denn sie hat sie nie bekommen. Weil alle Figuren bei einem Brand zerstört wurden. Angeblich. „Der Galerist, über den die Auslieferung laufen sollte, wird seitdem von Interpol gesucht.“

Wilde Geschichte. Immerhin habe ich jetzt drei Ansatzpunkte.

mehr Details unter

https://klaraskern.de/2023/10/08/unverhoffte-strasbourg-verbindung/

https://klaraskern.de/2023/10/09/eifel-abschied/