
Willkommen Little Miss Sunshine
1. – 27. Juli
Minimalismus ist der neue Luxus, schreiben neuerdings die Kollegen in den einschlägigen Zeitschriften. Aber sogar in den seriösen Blättern wird der Verzicht gefeiert. Aha. Wenn Minimalismus aber derart kapitalistische Züge annimmt, darf er sich dann überhaupt Minimalismus nennen? Wie glaubwürdig ist das eigentlich, wenn Schauspielerinnen oder Moderatoren oder sonst irgendwelche vermeintlichen Promis, deren Zenit in den frühen 2000er war, genau das behaupten? Dass sie dem Luxus abgeschworen haben und im Minimalismus die neue Sinn stiftende Erfüllung finden? Lassen sich dann in ihren Tiny-Häusern ablichten, deren schlichteste Variante du auch nicht unter 60.000 Euro kriegst. Zeig mir einen Promi, der für lau ein Interview gibt. Egal. Nicht mein Problem.
Mein Dad hätte bestimmt nichts dagegen gehabt, wenn der alte Detleff mal wieder ein paar Kilometer Asphalt unter die Räder bekommen hätte. Sind ja gut in Schuss, die neuneinhalb Meter auf zwei Achsen. Pelles Vorschlag, besser ein bequemes, meint kleineres Wohnmobil zu kaufen, hat mir solange gefallen, bis ich diesen Oldtimer im Netz gesehen habe. Der hat einfach mehr Charme. Meine Leidenschaft für Retro hat er zwar noch nie verstanden, aber Pelle behauptet ja auch, ich hätte eine neurotische Nostalgie-Macke, die mir irgendwann das Genick brechen wird.
Blödsinn! Meine Macke macht mich megahappy! Jetzt mehr denn je. Habe es getan. Den Wohnwagen aus dem Saarland gekauft! Diesen herrlichen Oldtimer! Bin absolut schockverliebt in Little Miss Sunshine.

Holz statt Plastik! Freunde, so geht nachhaltiger Minimalismus. Hat die perfekte Größe für mich allein, so ziemlich alles noch original – Heizung, Kühlschrank, Gardinen, Dachluken, sogar ein kleines Bad, wenn auch ohne Klo. Und vor allem: müffelt nicht. Davor wird ja immer gewarnt. Aber der Typ von VintageHusbill, so ein gemütlicher Bär mit Bart und Basecap, hat neue Reifen draufgezogen, mir sogar eine Trittstufe und eine Gasflasche geschenkt. Nachdem ich ihm gerade mal 6.800 Euro auf den Tisch geblättert habe.
Das ist ein echter Schnapper. Jetzt nur noch ein paar neue Polsterbezüge – und dann kann’s los gehen auf Weltreise.
„Wegfahren kannste vergessen“, sagt Schräubchen vier Tage später. „Da muss richtig was dran gemacht werden.“ Dabei hatte ich ihn doch nur gebeten, einmal die Elektrik zu checken, weil ich gerne einen größeren Kühlschrank hätte und eine neue Heizung hätte. „Wasserdicht ist nur dein Kauf-Vertrag!“, hat Schräubchen als nächstes gesagt. Ich bin natürlich sofort zu ihm in die Werkstatt. Little Miss Sunshine müffelt nach Feuchtigkeit!! Wir haben das Waschbecken abgeschraubt und diesen komischen Spiegelschrank aus den Siebzigern. Dahinter ist alles schwarz verschimmelt! Aber das ist noch nicht das schlimmste! LMS ist nicht verkehrssicher! Schräubchen braucht minimum vier Wochen, möglicherweise sechs, um den Wohnwagen reisetauglich zu machen. Das geht weit über einen Freundschaftsdienst raus. Bis nächste Woche habe ich einen Kostenvoranschlag. Wieso beschleicht mich dieses ungute Gefühl, mit dem Kauf von Little Miss Sunshine einen Riesenfehler gemacht zu haben? Soviel ist sicher:
Der VintageHusbill-Typ hat mich nach allen Regeln den Kunst verarscht und abgezockt.



Schimmel hinter der Badezimmer-Verkleidung, feuchter Unterboden, Loch im Dach… und das ist nur der Anfang, sagt Schräubchen.
Pelle hat nur die Augenbrauen hochgezogen als ich Freitagabend nach dem vierten Grauburgunder ein Teilgeständnis abgelegt habe. Der Schimmel blieb wohlweislich unerwähnt. Glücklicherweise hat Pelle nicht gefragt, warum ich ausgerechnet mit so einem alten Ding auf Weltreise will, sondern geraten, ich solle Listen schreiben. Was ich mitnehmen will, wann ich wo sein will. Nachdem ich die vergangenen Tage recherchiert habe, was andere Wohnwagenweltumfahrer so alles mitnehmen, muss ich eine endlose Reihe von Entscheidungen treffen. Welche Ersatzgaskartusche? Solarpanel mit passender Batterie, um unabhängiger von möglichen Campingplätzen zu sein? Öko-Toilette ja / nein und wenn, welche. Offensichtlich braucht es auch Adapter für die Gasflasche. Anhängerkupplungsschloss. Brauche ich wirklich eine ADAC-Plus-Mitgliedschaft? Eins weiß ich immerhin schon sicher: no plastic! Also Emaillegeschirr und Chrombesteck.
Habe heute früh um zwei Uhr im Netz eine Andrea Keller (https://kellerdogacademy.com/de/) gefunden und kontaktiert. Da sie seit Jahren im Wohnwagen lebt, kann sie mir bestimmt Tipps geben, worauf ich alles achten muss. Immerhin habe ich einen Raumausstatter empfohlen bekommen, dem bringe ich die alten Polster und er bezieht sie neu. Läuft, würde ich sagen.